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Von sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Bilder können im ersten Moment noch immer überraschen. Das kann etwa Personen geschehen, die noch keine Erfahrung mit den typischen Merkmalen von KI-Bildern bzw. den typischen Mustern und Motiven solcher Dateien haben (mit etwas Erfahrung hingegen vermisst man in KI-Bildern schnell jede Tiefe). Außerdem können KI-Bilder noch überraschen, wenn sie in Kontexten verwendet werden, in denen man wirklich gar nicht mit ihnen gerechnet hat.
Goldene Panzer
So wie in linken, progressiven Zeitungen wie der taz oder dem Freitag. Zeitungen, deren Redaktionen und Autor*innen sicher die Reflexionsfähigkeit haben, sich der Problematik von "AI Slop" (KI-Matsch oder KI-Manscherei) und dessen Verankerung in neo- und techlibertären Ursprüngen, sowie ihrer zunehmend rechtspopulistischen bis faschistischen Verwendung (etwa in grauenhaften, teils menschenverachtenden Postings der US-Regierung auf X) bewusst zu sein.
Linken Medien, von denen man erwartet, dass sie auf die unironische (und eigentlich auch sonstige) Verwendung KI-generierter Bilder zur bloßen Illustration und Aufmerksamkeitserzeugung verzichten.
Oh my sweet summer child, sage ich nun zu mir selbst. Habe ich die von der Midjourney-KI generierten goldenen, diamantbesetzten und Euro verschießenden Panzer auf der Titelseite des Freitag vom 28.07.2025 noch naiv als provokativen Ausrutscher abgetan, war ich mir bei der Wiederholung des Motivs in der Ausgabe vom 14.08.2025 nicht mehr sicher. Immerhin, bei diesen Artikeln wurden die KI-generierten Bilder noch als Teil von Collagen verwendet, bei dem auch Motive aus Stockfoto-Datenbanken zum Einsatz kamen und die, soweit ich es verstehe, noch durch einen Menschen arrangiert wurden. Die Verwendung in einer Collage wäre akzeptabel und vielleicht sogar interessant, wenn es im Rahmen eines Kunstprojekts geschähe, in dem etwa der KI-Einsatz in Massenmedien kritisch reflektiert würde.
Doch im Freitag werden die Bilder als bloße Dekoration genutzt, die vor allem Aufmerksamkeit auf die jeweils rüstungskritischen Artikel in den beiden Ausgaben lenken und die vielleicht noch einen bitter-belustigenden Effekt ähnlich einer Karikatur beabsichtigen. Nichts gegen Aufmerksamkeit für kritische Artikel und gegen das Lustigmachen über reiche Konzernmenschen. Doch beide Wirkungen hätte man genauso gut oder besser auch durch Bilder erreichen können, die auf KI verzichten.
Möglicherweise hätte das mehr Aufwand und Zeit erfordert, vielleicht auch (mehr) Geld gekostet, aber es wäre ein konsistenter moralischer Anspruch durchgeschienen. Wer im Text Waffenproduktion kritisiert und sich um die Arbeiter*innen in Fabriken sorgt, die zu solcher Produktion gleichsam gezwungen werden (da sonst der Jobverlust droht), sollte solche Artikel vielleicht nicht mit AI slop illustrieren, der mithilfe von Tools erstellt wird, die menschliche Arbeit entwerten.
Der Kanzler und sein Punk
Das nächste Beispiel für unnötigen AI slop hat sich am 19.08.2025 die taz in ihrem Projekt futurzwei geleistet. Das Beispiel ist anders als die Collagen im Freitag noch kritischer einzustufen, erweckt es doch den Eindruck eines echten Fotos.
Ein Artikel von Arno Frank mit dem Titel "Einmal Punk, immer Punk! Arno Frank und das falsche Leben" (zum Artikel, externer Link!) wurde mit einem Bild illustriert, in dem scheinbar Altkanzler Helmut Kohl von einem jungen Mann mit Irokesenschnitt (also wohl: einem Punk) zur Rede gestellt wird. Die Szene erweckt den Eindruck, dass es sich um ein echtes Ereignis handelt; es könnte vielleicht Mitte bis Ende der Neunziger Jahre stattgefunden haben. Die Bildunterschrift lautet: "So nah wie auf diesem KI-generierten Bild waren sich Kohl und der Punk in unserem Autor noch nie", darunter die Quellengabe: "Foto: KI-generiert durch ChatGPT".
Einmal abgesehen davon, dass das Bild kein "Foto" ist (es sieht nur aus wie ein Foto), und unabhängig davon, dass der in der Bildunterschrift hergestellte Bezug zu Arno Franks Kommentar eher lustlos daherkommt (Roland Meyer, Professor für Digitale Kulturen und Künste an der Universität Zürich, bezeichnete das Bild auf Bluesky als "Ausweis kompletten Mangels an ästhetischer wie intellektueller Ambition" (zum Post, externer Link!) – die Generierung und Verwendung so eines Bildes in einem ja immer noch relativ weit verbreitetem Medium ist an sich problematisch. Denn das Bild wird sich vom Kontext losgelöst verbreiten und dann bei uninformierten Betrachter*innen einen falschen Eindruck erwecken.
Ich habe den Beitrag auf Bluesky gefunden, da er dort von der taz verlinkt war. In der Vorschau waren ein kurzer Teasertext und das Bild zu sehen – an der Stelle war die Bildunterschrift und damit der Hinweis auf die KI-Generierung nicht sichtbar. Wer den Artikel wie sonstige taz-Artikel auch im Bluesky-Feed der taz sieht, muss annehmen, dass es sich hier um ein Foto handelt. Das Grundvertrauen in die Zeitung verhindert auch, das Bild erstmal zu hinterfragen. Stattdessen wird Neugier erweckt und der Artikel angeklickt. In anderen, weniger respektablen Medien würde man hier von Clickbait reden.
Und ja, ich bin – entschuldigen Sie den Ausdruck – angepisst, dass ich darauf reingefallen bin. Denn welchen Medien soll ich denn noch vertrauen, wenn große Portale wie Spiegel, ZEIT und Tagesschau sich zunehmend rechts anbiedern? Wer ist denn heute noch Verbündeter gegen rechts?
Mehr als Clickbait: "Geschichtsverfälschung" und faschistische "Propaganda-Technik"
Der Kulturhistoriker Jacob Birken kommentierte dazu an die taz gerichtet auf Bluesky:
"diese Illustration wirkt wie eine Fotografie, wird dann so z.B. auch unter dem Schlagwort 'Helmut Kohl' in den Bildersuchen auftauchen und eventuell selbst als Grundlage für weitere KI-generierte Bilder von Kohl verwendet werden. Ihr betreibt hier für einen Gag literally Geschichtsverfälschung" (zum Post, externer Link!)
Solche Art "Geschichtsverfälschung" ist bisher vor allem die Sache der Rechten, wenn sie etwa wie derzeit die US-Regierung auf X eine völlig überzeichnete Re-Inszenierung und Idealisierung einer weißen US-amerikanischen Geschichte vornimmt. Daher sollten linke Medien sehr vorsichtig sein, wenn sie ebenfalls so einen Pfad beschreiten.
Die Autorin, Übersetzerin und Kunsthistorikerin Christina Dongowski bringt (ebenfalls auf Bluesky) das politische Problem der Verwendung solcher Bilder sarkastisch, aber treffend auf den Punkt:
"AI-Image-Slop IST die Propaganda-Technik des Spätfaschismus & das ist KEIN FUCKING ZUFALL. Redaktionen, die aus Sparzwängen bei der Scheiße mitmachen o. weil sie davon nix wissen, sind ungefähr so brauchbar für den Kampf um die demokratische Öffentlichkeit wie die FB-Gruppe Parkplätze für Stuttgart." (zum Post, externer Link!)
Glaube statt Zeugnis
In seinem Buch "Im Blick der Bilder" (erschienen 2023 in unserer Über/Strom-Buchreihe) stellt der Fotograf, Künstler und Dozent Marcus Kaiser die These auf, dass Fotos möglicherweise den Stellenwert als Zeugnis für ein tatsächliches Ereignis verlieren, den wir ihnen in der Vergangenheit zugeschrieben haben. Kaiser schreibt:
"Bei fotorealistischen Bildern wird der Wirklichkeitsbezug, den wir im Allgemeinen einer Fotografie zusprechen, aufgelöst […]. Diese Bilder halte ich eher mit der Malerei vergleichbar als mit fotooptisch-basierten Bildern. Statt fotografischen Abbildern, welche sie vortäuschen, werden Schimären erzeugt, Trugbilder, die wir nicht als solche erkennen können, falls sie nicht in dieser Weise kontextualisiert werden." (S. 106)
Das spezifisch Neue von KI-Bildern im Vergleich zu früheren Fälschungen und Täuschungen liegt für Kaiser in der sozialen Praxis des Vertrauens:
"Sehen wir Nachrichtenbilder, Fotoreportagen, Fotografien oder Videoeinblendungen, welche ein Ereignis bezeugen sollen, so werden wir in Zukunft darauf noch mehr vertrauen müssen, beziehungsweise glauben müssen, dass den Bildern ein tatsächliches Ereignis in der gezeigten Form zugrunde liegt. Die Frage der Bilder wird dann auch für dokumentarische Aufnahmen in unserer Gesellschaft wieder mehr eine Frage des Glaubens. […] 'Wahrheit' als Medium der Kommunikation wird dann eventuell weniger mit dokumentarischer Fotografie und dem Bewegtbild in Verbindung gebracht." (S. 107)
In anderen Worten: Wir mögen uns irgendwann daran gewöhnen, dass Bilder in Medien keinen Anspruch auf Wirklichkeit mehr haben. Wir mögen nichts mehr dabei finden, wenn ein historischer Politiker mit einer fotorealistischen, aber fiktionalen Figur abgebildet ist, ohne dass das sofort sichtbar (d.h. hier: nicht erst bei Anklicken eines Links) als Fiktion, als kontrafaktisch markiert ist. Aber ist das erstrebenswert? Sollten Medien daran mitarbeiten, so einen Zustand zu erreichen?
Seid Verbündete, nicht Mitläufer
Und zumindest aktuell ist das es verbreitet ja noch nicht so. Zurzeit glauben wir immer noch mehrheitlich, was wir sehen, zumal wenn es entkontextualisiert präsentiert wird oder es schnell gehen muss, etwa in einem kurz vorbeiscrollenden Social-Media-Post, der um Aufmerksamkeit bettelt.
Gerade etablierte linke Medien wie taz und Freitag haben vor diesem Hintergrund eine Verantwortung, der sie sich vielleicht noch nicht auf allen Ebenen bewusst sind. Sie sind als seriöse Medien diejenigen, die das Vertrauen in die von ihnen benutzten Bilder rechtfertigen. Ich vertraue dem Bild als Foto, weil es in einem seriösen Medium erscheint.
Medien wie taz und Freitag sollten sich daher nicht nur kritisch zu Technologien aufstellen, die menschliche Arbeit entwerten. Das wäre für linke Medien ohnehin das Minimum.
Sie sollten vor allem Mitstreiter sein, um die von allen Seiten angegriffene liberale Demokratie vor einem rechtskonservativen bis rechtsextremen Machtausbau zu schützen – gerade jetzt, wo Bundestagspräsidentin Julia Klöckner keinen Unterschied zwischem einem journalistischen Medium wie der taz und einem privat finanzierten rechten Propagandaportal wie NIUS zu erkennen mag.
Technologien, die derzeit vor allem von rechter Seite eingesetzt werden, um auf Social Media massenhaft Menschen zu beeinflussen, sollten daher nur sehr reflektiert und vorsichtig genutzt werden. Keineswegs sollten sie nur als scheinbar einfache Alternative zu anderen Bildquellen gelten.
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